Auszug aus Keyboards Testbericht
Organ Preamp / Overdrive
Mono-Orgel-Röhrenpreamp und Overdrive/Verzerrer,
Das waren noch Zeiten: Jimmy Smith auf der Bühne hinter einem handlichen Schrank mit gedrechselten Holzbeinen namens Hammond B3 – so massiv wie dieses Instrument war auch der Sound, der aus den Lautsprechern kam.
Und heute? Die Orgeln sind kleiner geworden, leichter – die Roadies danken es. Mancherorts kommt die Orgel mittlerweile gar aus einem Laptop. Aber wo ist er geblieben, dieser „heiße“, schreiende Sound, der die (Hammond-)Orgel zu einem der wichtigsten Tasteninstrumente in Jazz und Rock gemacht hat?
Richtig! Analoge Schaltkreise müssen her, Röhren, und so hat Thomas Reußenzehn seine stattliche Produktpalette um einen speziell für Orgel-Anwendungen entwickelten Preamp/Verzerrer erweitert.
Mit dem Organ & Groove hat Reußenzehn zunächst einmal den „klassischen“ Organisten im Visier, der auch heute noch nicht auf einen elektromagnetischen Klangerzeuger und ein Leslie-Kabinett verzichten mag, aber den „heißen“ Sound nicht erst bei großen Lautstärken, wenn die Leslie-Endstufen in die Sättigung geraten, erzielen möchte.
Natürlich lässt sich der Organ & Groove aber auch mit Transistororgeln, Expandermodulen etc. betreiben, und herrlich „zweckentfremden“ lässt er sich auch – aber dazu später mehr.
Die Ein- und Ausgänge sind in Form von unsymmetrischen Klinkenbuchsen realisiert, zusätzlich gibt es noch eine Buchse für das Netzteil. Eine Fernsteuerung des Bypass mittels Fußschalter ist herstellerseitig zunächst nicht vorgesehen, aber wir haben für Sie nachgefragt: Gegen einen Aufpreis von etwa 50 Euro lässt sich diese Option nachrüsten. Durchaus sinnvoll, denn der Organist hat ja mit Tasten, Zugriegeln etc. ohnehin schon häufig genug alle Hände voll zu tun.
Überhaupt hat Thomas Reußenzehn prinzipiell ein offenes Ohr für jegliche Modifikationswünsche, was sich unter Umständen als großen Vorteil für den anspruchsvollen Anwender erweisen kann. Hier macht sich bezahlt, dass der Organ & Groove aus einer Spezialisten-Schmiede, und nicht von einem stärker „industrialisierten“ Hersteller stammt.
Auch das vom robusten Gehäuse gut geschützte Innenleben des Organ & Groove kann sich sehen lassen: Sämtliche Verkabelungen der Vollröhrenschaltung wurden laut Hersteller in „Punkt-zu-Punkt“-Verdrahtung mit Silber-Silikonlitzen ausgeführt, was für ein Minimum an kapazitiven Dämpfungen und somit für ein hervorragendes Dynamikverhalten sorgt – vorbildlich, und gerade in einer Preamp-Schaltung sehr sinnvoll!
Zudem ist das häufig ungeliebte externe Netzteil in diesem Fall aus klanglichen Gründen nützlich: Einstreuungen aus dem Netzteil in den (wegen der in einer Verzerrerschaltung üblichen hohen Verstärkungsgraden diesbezüglich sehr sensiblen) Audioschaltkreis werden so minimiert.
Aufgrund der geringen Spannungszufuhr von 12V darf das Gehäuse des Organ & Groove massefrei betrieben werden. Dies löst das Problem von massebedingten Brummschleifen, die im Zusammenspiel mit anderen Geräten auftreten können, auf elegante Weise. In der Tat arbeitet der Organ & Groove angenehm nebengeräuscharm – da gibt unter den Verzerrern ganz andere „Problemkandidaten“.
In der Praxis:
Mittels der Gain- und Master-Potis lässt sich das Gerät vom Pegel her an praktisch jede denkbare Anwendungssituation anpassen, wobei hier zu beachten ist, dass der Ausgangspegel des Organ & Groove ausreicht, um auch direkt eine Verstärkerendstufe anzutreiben.
Schließt man den Organ & Groove hingegen an ein Mischpult oder ein 19“-Leslie (im Test kam hier ein Dynacord CLS 222 zum Einsatz) an, so sollte man das Master-Poti tunlichst erst einmal in eine niedrige Stellung bewegen, um Verzerrungen im Eingang des nachfolgenden Gerätes zu vermeiden – hier ist also etwas Vorsicht geboten.
Ich sehe dies jedoch keinesfalls als Manko, sondern als großen Vorteil, denn die Möglichkeit, den Organ & Groove sowohl vor einem Mischpult, als auch direkt an einer (Leslie-)Endstufe zu betreiben, erweitert das Anwendungsspektrum enorm. Sowohl live, als auch im Studio passt sich der Organ & Groove hervorragend in seine jeweilige technische Umgebung ein.
Bereits in der „Standard-Anwendung“, also zwischen Orgel und Leslie geschaltet, bringt der Organ & Groove sehr schöne Klangresultate zustande. Zwischen subtiler Sättigung und beinahe schon brachialem „Schmutz“ sind viele Klangvariationen möglich, wobei mir besonders gut gefällt, dass sich der Verzerrer-Schaltkreis sehr sanft in die Sättigung fahren lässt.
Statt einer plötzlich einsetzenden, kratzenden Übersteuerung, wie man sie vor allem von einigen Transistorgeräten kennt, lässt sich die Verzerrung des Organ & Groove von leichter Sättigung über Overdrive bis hin zu einem „amtlichen Brett“ mit kräftiger Kompression sehr fein dosieren – dies sorgt vor allem in Kombination mit einem Volumenpedal für angenehme Effekte.
Dieses Verhalten ist eigentlich typisch für eine gute Röhrenschaltung, doch gibt es auch hier „Kollegen“, die sich weit weniger fein justieren lassen. Das ist in jedem Fall einen dicken Pluspunkt wert!
Die feine Ansprache der Sättigung klingt auch bei perkussiven Orgel-Sounds sehr gut: Während der Grund-Sound noch angenehm klar bleibt, bekommen die perkussiven Klanganteile einen herzhaften und durchsetzungsfähigen „Biss“.
Der Presence-Regler – mit ebenfalls fein aufgelöstem, weitem Regelbereich – sorgt für weitere Variationsmöglichkeiten, hier sollte sich für jeden Sound-Wunsch die passende Einstellung finden lassen.
Obwohl primär für Orgel-Anwendungen gedacht, bestätigen sich die durchweg sehr guten Klangresultate des Organ & Groove auch in anderen Betriebssituationen: Einem
Fender Rhodes ließen sich im Test ebenfalls schön raue, bissige Klänge entlocken.
Gerade in Verbindung mit dem sehr anschlagssensiblen Rhodes macht sich das feine Dynamikverhalten des Organ & Groove bezahlt. Versuchen Sie hier auch einmal, den Organ & Groove hinter ein Tremolo-Gerät mit langsamer Sinus- oder Dreiecksschwingung zu schalten: Die sich weich ein- und ausblendenden Verzerrungen sind ein wunderschöner Effekt!
Auf den Punkt gebracht:
Obwohl sich der Organ & Groove im Test in einer breiten Palette unterschiedlicher Anwendungssituationen bewährt hat, sehe ich eine Anwendergruppe ganz klar im Nachteil: Diejenigen, die mit einer Workstation oder Orgel mit integriertem Leslie-Effekt und folglich einem Stereo-Ausgang am Gerät arbeiten. Hier sollte auch ein nachfolgender Verzerrer für die Verarbeitung von Stereo-Signalen ausgelegt sein. Der Fairness halber ist allerdings noch einmal anzumerken, dass Reußenzehn den Organ & Groove zunächst für den Betrieb mit „echten“ elektromechanischen Orgeln und Leslie-Kabinetten entwickelt hat.
„Stereo“ bedeutet bei analogen Geräten naturgemäß, dass ein doppelter Schaltungsaufwand zu treiben ist, außerdem ist es aus klanglichen Gründen ohnehin ratsam, einen Verzerrer vor dem Leslie-Effekt einzusetzen – und an dieser Stelle im Signalweg spricht nichts dagegen, dass eine Orgel „klassisch“ in mono ertönt. Wer dennoch eine Stereo-Version des Organ & Groove wünscht, der sei angehalten, sich direkt mit Thomas Reußenzehn in Verbindung zu setzen.
Zwar mag der Kaufpreis von knapp 400 Euro zunächst recht hoch erscheinen, doch angesichts des Gebotenen geht er nach meiner Ansicht völlig in Ordnung: Mit dem Organ & Groove bekommt man ein nebengeräuscharmes, sehr gut klingendes und über einen weiten Bereich feinfühlig einstellbares Gerät, das darüber hinaus mit hoher, handgefertigter Verarbeitungsqualität glänzen kann.
Zudem sorgt der Organ & Groove auch über den ursprünglichen Zweck als Orgelpreamp und -Verzerrer hinaus für hervorragende klangliche Resultate. Allerdings könnte das Preis-/Leistungsverhältnis weiter verbessert werden, wenn die Option, den Bypass des Or-gan & Groove mit einem externen Fußschalter zu bedienen, bereits im Originalzustand vorhanden wäre.
+ Guter Klang
+ nebengeräuscharmer Betrieb
+ sehr fein dosierbare Sättigung/Verzerrung
+ vielfältige Anwendungsmöglichkeiten, auch über den „ursprünglichen“ Zweck hinaus
+ hohe Verarbeitungsqualität
– kein Ein-/Ausschalter vorhanden
– Bypass nicht fernbedienbar (siehe Text)
Hannes Bieger
Anmerkung des Herstellers:
Ich habe bewußt auf den Einbau eines Netzschalters verzichtet, weil derselbe Effekt (Ausschaltung) ebenso leicht durch das Herausziehen des 12-Volt-Steckers zu erzielen ist.
Thomas Reußenzehn
Der komplette Test ist nachzulesen bzw. downloadbar bei Keyboards